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LIEBE
Interview

INTERVIEW MIT ANTJE MANFRONI

Jörg vom Redaktionsteam hat mit Antje Manfroni, der Projektleiterin des MISEREOR-Partnerprojektes Ekupholeni in Johannesburg, über Liebe, Sexualität und HIV gemailt.

 

Da HIV und AIDS oft mit Sexualität verbunden sind, empfehlen wir für dieses Interview ein Lese-Alter von mindestens 14 Jahren.

Antje Manfroni
© Antje Manfroni

Hier sind nun Antje’s Antworten:

 

Was siehst du als die größte Herausforderung, wenn du mit Jugendlichen über Sexualität und über ihre erste Liebe sprichst?

Antje: Die größte Herausforderung, wenn man mit Teenagern über Sexualität und Erste Liebe spricht ist, das die beiden Themen oft verwechselt werden und “Liebe” schnell mit Geld und materiellen Dingen gleichgesetzt wird. Zum Beispiel geht es darum, ob der Junge dem Mädchen das Schulgeld zahlen kann, ihr schöne Kleidung, ein Handy etc. kauft.

 

Für viele junge Mädchen in den Townships spielt Liebe keine Rolle; Sex wird als Tauschgegenstand für etwas gesehen, manchmal sogar für Essen.

 

Es gibt kaum gewaltfreie Rollenvorbilder, da häusliche Gewalt allgegenwärtig ist und die Mädchen auch emotional stark vernachlässigt sind. Daher fallen die Mädchen leicht auf jeden herein, der sie auch nur etwas netter behandelt, ihnen das “Blaue vom Himmel“ verspricht und zumindest anfänglich keine Gewalt ausübt.

 

Über Sexualität zu sprechen ist sehr schwer, da es unter den Jugendlichen totgeschwiegen wird. Somit erhalten die Jugendlichen ihre Informationen hauptsächlich von Freunden oder aus dem Biologieunterreicht, den sie jedoch selten mit sich selbst in Verbindung bringen oder aber aus den Medien (hier allerdings sehr viel Pornographie, vor allem verbreitet über die Handys). 

 

Eine weitere Herausforderung ist, dass es besonders für Mädchen kaum Freizeitangebote in den Townships gibt. Viele treffen sich vor Bars oder auf der Straße und trinken, was dann oft zu erzwungenem oder ungeschütztem Sex führt. Die Eltern fühlen sich in den seltensten Fällen verantwortlich, da sie das Gefühl haben, es sei das Problem ihrer Töchter… Oder aber sie sind sogar froh, dass ihre Töchter auf diese Weise wenigstens etwas Geld oder Essen nach Hause bringen. 

 

Bei den Jungs gibt es eine Art Konkurrenz: sie wollen ihre Männlichkeit durch mehrere Freundinnen  gleichzeitig unter Beweis stellen (unser Präsident ist in dieser Hinsicht ja leider ein schlechtes Beispiel), so nach dem Motto „Wenn die eine nicht will, nehme ich eben die andere.“ Sexuell übertragbare Krankheiten werden oft nicht ernst genommen und das Wissen hierüber bleibt trotz der zahlreichen Aufklärungskampagnen sehr beschränkt.

 

Die Eltern - wobei die Väter meist nicht anwesend sind, weshalb die Erziehung oft der Mutter zufällt - sind meist hilflos und haben das Gefühl, dass es besser ist, den Mädchen erst einmal nichts zu erzählen, damit sie nicht zu früh über Sex Bescheid wissen. Natürlich ist das Gegenteil der Fall: Wir von Ekupholeni haben in Gesprächen und Untersuchungen herausgefunden, dass die Mädchen sehr wohl großes Interesse haben, jedoch entweder  gar nicht- oder falsch informiert sind. In unseren Gruppen sprechen sie  gerne über Liebe und Sex, da sie wissen, dass die Sozialarbeiter sie weder maßregeln noch anschreien. Ich könnte noch viel mehr schreiben …

 

Wie können wir der Ausgrenzung und Diskriminierung von HIV-positiven Jugendlichen entgegenwirken?

Antje: Die meisten HIV-infizierten Jugendlichen erfahren von ihrer Infektion nach einer Vergewaltigung, was bedeutet, dass sie eine zweifach traumatische Belastung verarbeiten müssen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die meisten ihren Eltern die Vergewaltigung und die HIV-Infektion verschweigen. Ihr größter Wunsch ist es “normal” zu sein, weshalb sie ihren Zustand verstecken und hoffen, ihn so auch verdrängen zu können, bis sie ernsthaft erkranken.

 

Dann erfahren sie jedoch eine doppelte Verwundung von außen: Das Trauma (seelische Verwundung) der Erkrankung und das Trauma der Enthüllung.  Wie es für alle Teenager normal ist, wollen sie in erster Linie von ihren Freunden angenommen werden - dies ist dann  jedoch häufig  nicht mehr der Fall, da sie jetzt “anders” sind, auch wenn dies Anders-Sein in einer unterstützenden Umgebung nicht immer negativ bewertet wird.  Sogar unsere „Young Caretakers“ (Kinder, die einen Haushalt selbst führen müssen), die HIV-positiv sind und deren Eltern bereits an AIDS gestorben sind, sind allein durch ihren Status als „ohne Eltern“ stark gebrandmarkt.

 

Ihr könnt euch sicherlich vorstellen, dass es keinen speziellen Weg der „Ent-Stigmatisierung“ gibt. Wir können nur versuchen, das Stigma (die Brandmarkung) und die Diskriminierung dadurch zu bekämpfen, dass wir die Menschen dazu ermutigen, stärker zu kommunizieren (und nicht nur über HIV), da Geheimnisse, die Angst vor dem Anders-Sein sowie das fehlende Wissen wiederum selbst Angst, einseitige und ausgrenzende Brandmarkung, Diskriminierung und schlussendlich Gewalt erzeugt.

 

Welche Vision begleitet und führt euch durch all eure Arbeit?

Antje: Wir gehen mit einer humanistischen Perspektive an die Probleme und behandeln jede und jeden Menschen als eine Person, nicht als Fall.  Wir streben nach Entwicklung und Befähigung, nicht danach, den Menschen simple Handreichungen zu geben oder eine Sozialarbeit zu leisten, die ihre „Empfänger“ erniedrigt. 

 

Wir kümmern uns natürlich auch um uns selber: unsere Mitarbeiter achten auf ihr emotionales und mentales Wohlbefinden. Wir bieten unserem Personal wöchentliche  Nachbesprechungen, regelmäßige Entspannungstage, einen jährlichen Mitarbeiter-Tag, Training- und Weiterbildungsmaßnahmen und vieles mehr. All diese Maßnahmen werden bei Ekupholeni groß geschrieben, um ein Ausgebrannt-Sein (Burn-Out) zu vermeiden und um selbst  nach den Regeln zu leben, die wir selber predigen: „Kümmere dich um dich selber, nur dann kannst du auch für andere da sein“. 

 

Wir berichten uns gegenseitig über das Erlebte, wir lachen und weinen zusammen und haben ein ehrliches Interesse an dem Wohlergehen der Menschen, die uns anvertraut sind.

 

Wir reden viel und feiern jeden noch so kleinen Erfolg! Wir sind kreativ, innovativ und haben auch keine Angst davor, zu versagen.

 

Die Geschichten und das Durchhaltevermögen unserer Klienten ermutigen uns: sie  bringen uns vieles bei und wir unterstützen sie auch, es ist ein gemeinsames Geben und Nehmen.  Ebenfalls sehr hilfreich ist unsere gute Vernetzung, besonders wenn es in Situationen stockt, die wir selbst nicht beeinflussen können… zum Beispiel bei der Versorgung in einem Hospiz oder bei Alkohol-Entzug.

 

Liebe Antje – wir sagen DANKE für all deine Antworten!