Projekt

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Überlebens-Oasen im Libanon

Vor dem Krieg sind Flüchtlinge im Libanon in Sicherheit. Aber sie müssen mit neuen Unsicherheiten zurechtkommen. Eine halbe Million von ihnen – das ist rund ein Drittel der Flüchtlinge im Libanon ist nicht registriert. Offiziell gibt es sie also gar nicht. Sie haben keinen Zugang zu Bildung, Sozialdiensten oder zur Gesundheitsversorgung und sind auf Unterstützung durch Solidararbeit wie die durch PM angewiesen. Sie dürfen nur in der Müllentsorgung, als Reinigungskraft, im Bausektor oder der Landwirtschaft arbeiten. Die meisten von ihnen werden in informellen Beschäftigungsverhältnissen ausgebeutet.

Zuletzt hat sich der Ausgrenzungskurs der libanesischen Regierung und der Gesellschaft noch verschärft. Denn ein Viertel der libanesischen Familien lebt selbst unter der Armutsgrenze. So werden die syrischen Flüchtlinge nun zu Sündenböcken für jahrzehntelange Versäumnisse politischer Reformen stigmatisiert. Nach der zwar vorerst gebannten Regierungskrise im Herbst 2017 zeichnet sich unter den jetzigen Voraussetzungen nicht ab, dass eine funktionierende Staatlichkeit aufgebaut werden kann, die in der Lage wäre, eine der Situation entsprechende Politik zu gestalten und die dringend erforderlichen Reformen umzusetzen.

„Die sozialen und religiösen Spannungen im Libanon steigen mit den syrischen Flüchtlingen“, erklärt Marlene Constantin auf die Frage, wie sich viele Libanesinnen und Libanesen angesichts der vielen Flüchtlinge und der eigenen Perspektivlosigkeit fühlen. Als Projektmanagerin bei PM ist sie zuständig für Bourj Hammoud. Das päpstliche Hilfswerk bezieht immer auch arme libanesische Haushalte in die Projekte mit ein, um zu einem besseres Verständnis und Solidarität zwischen alteingesessener und neuzugewanderter Bevölkerung beizutragen. Dahinter steht der inklusive Gedanke, dass in der Armut alle gleich sind, wie der Leiter Michel Constantin erläutert: „Als Christen sollte uns auszeichnen, dass wir bei der Hilfe keine Unterschiede machen.“

Die Rolle von Kindern und Eltern

Das gehört zum Ideal von PM: „Ein friedliches Zusammenleben, das wir durch den direkten Kontakt zwischen Menschen erreichen wollen“, ist das Leitbild für die Arbeit an vier Standorten  Bourj Hammoud und Naaba, dem palästinensischen Flüchtlingscamp Dbayeh sowie dem Sozialzentrum der Franziskanerinnen in Achkout  so Michel Constantin. 

Schwerpunkt sind heute Bildungsangebote für Kinder: Während des Schuljahres gibt es Nachhilfe, das dritte Kindergartenjahr bereitet auf den Besuch einer Schule im libanesischen Schulsystem vor, dessen Unterricht auf Englisch oder Französisch stattfindet.

 „Der Schlüssel, um eine Gemeinde zu verändern, sind die Kinder“, sagt Elias Habib, der Leiter des JCC-Projekts in Dbayeh. Er kennt die Probleme in den palästinensischen Vierteln und weiß, wovon er spricht: Er hat das Projekt vor zehn Jahren in Dbayeh gestartet, weil er seinen vier Kindern eine bessere Zukunftsperspektive geben wollte, als er sie selbst hatte. Anfangen musste er bei sich selbst. Konfliktlösung spielte dabei eine Schlüsselrolle, denn eine friedliche Gemeinschaft ist die Grundvoraussetzung für Bildungserfolge. Die ganze Familie engagiert sich mittlerweile im Projekt. Sie wurde durch die Bildungskurse unterstützt und konnte so ihre Zukunft in die eigenen Hände nehmen. Davon wollen sie ihrer Gemeinschaft nun etwas zurückgeben. So auch sein Sohn Rodolph:


Rodolph Habib, 16 Jahre alt, Pontifical Mission  Libanon, Camp Dbayeh

Auf den ersten Blick ist Rodolph Habib ein ganz gewöhnlicher Teenager: Er geht in die 11. Klasse der technischen Schule in Beirut, sein Lieblingsfach ist Informatik, er mag Programmieren und Webdesign. In seiner Freizeit fährt er Fahrrad – „je weiter weg, desto besser“ – und guckt Kochsendungen. Er trägt Jeans und ein lässiges Hemd, aus Gestik und Mimik spricht die typische Coolness eines Jugendlichen.

Auf den zweiten Blick wird deutlich, was so besonders an Rodolph ist: Sein sozialer Einsatz. Regelmäßig begleitet er eine Schwester zu Pflegebesuchen, darf schon selber älteren Menschen Medizin geben und Diabetestests durchführen –oder er leistet jenen Gesellschaft, die niemanden mehr haben. Doch sein Engagement geht noch weiter. Zusammen mit anderen Jugendlichen bietet er jüngeren Kindern Möglichkeiten zur Gestaltung ihrer Freizeit an. So organisiert er Musikstunden, bei denen er die Kinder auf dem Keyboard begleitet. In den Schulferien veranstalten er und seine Freund*innen sogenannte „Summer Schools“, bei denen Kinder und Jugendliche durch Sport und Spiel ein friedliches Miteinander lernen.

Was hier so einfach klingt, ist für Rodolph gar nicht so selbstverständlich. Er kann diesen Weg nur gehen, weil andere ihn dabei unterstützen, vor allem seine Eltern. Der Junge kommt aus dem Camp Dbayeh, einem der palästinensischen Flüchtlingslager, die zwar immer noch „Camps“ heißen, aber mittlerweile richtige Stadtviertel sind. Seit 70 Jahren und in der fünften Generation leben Palästinenser*innen im Libanon, die libanesische Staatsbürgerschaft aber haben die wenigsten von ihnen. Der Zugang zum libanesischen Bildungssystem ist hürdenreich für sie und viele brechen die Schule vorzeitig ab. So kommt Rodolph aus einfachen Verhältnissen, sein Vater Elias renovierte früher Häuser und war oft arbeitslos.

Das änderte sich vor zehn Jahren, als Vater Elias mit der Pontifical Mission und dem Joint Christian Committee zusammen das Bildungsprogramm für Dbayeh entwickelte, weil er seinen vier Kindern eine bessere Zukunft ermöglichen wollte als er selbst hatte. „Der Schlüssel, um eine Gemeinde zu verändern, sind die Kinder“, wusste Elias schon damals. Seinem Sohn kam das zu Gute: Während der gesamten Grundschulzeit halfen ihm Lehrer*innen des JCC bei den Hausaufgaben und nahmen ihm die panische Angst vor Prüfungen, die sicher auch damit zusammenhing, dass er sich im Libanon nicht anerkannt fühlte.

Vielleicht will er seine Zukunft deshalb dafür nutzen, ebenfalls anderen Menschen zu helfen, etwas zurückzugeben und dafür geliebt zu werden, wie er erklärt:

 „Das ist für mich Frieden: Liebe – egal welche Staatsangehörigkeit du hast“.